Der Faehrmann by Christopher Golden

Der Faehrmann by Christopher Golden

Autor:Christopher Golden [Golden, Christopher]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Buchheim Verlag
veröffentlicht: 2017-12-15T00:00:00+00:00


Am Montagabend saß Janine in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa und rutschte unruhig hin und her. Einen Moment lang senkte sie den Blick. Annette, die neben ihr saß, hatte sie mit einem Gesichtsausdruck betrachtet, der ihr wohl ulkig vorgekommen wäre, wenn er sich nicht auf sie selbst bezogen hätte. Auf dem Tisch stand noch das benutzte Geschirr von dem Essen, das Janine gekocht hatte, doch keine der beiden machte Anstalten, es abzuräumen.

»Du musst mir schon verzeihen, okay?«, sagte Annette. »Ich versuche bloß, das alles irgendwie zu verstehen. Und schließlich … nimmst du doch immer noch Zoloft, oder?«

Janine nickte entnervt.

»Reg dich bitte nicht auf«, sagte Annette tadelnd. »Wie soll ich deiner Meinung nach denn reagieren? Erst hattest du diese sogenannte Nahtoderfahrung, dann Alpträume und was jetzt? Halluzinationen? Gut, vielleicht ist das zu krass formuliert, aber wer weiß. Janine, meinst du nicht, du solltest mal mit jemandem darüber sprechen?«

»Du meinst mit einem Psychiater.« Janine presste die Lippen aufeinander und seufzte.

»Zum Beispiel. Schließlich gibt es Dinge, die Halluzinationen verursachen, weißt du? Medizinische Faktoren. Unter anderem chronische Schlaflosigkeit.«

»Oder Gehirntumore.«

Annette erbleichte. »Moment mal, darauf will ich nicht hinaus. Ich finde bloß, du solltest dich um deiner selbst willen vergewissern, dass sich das alles nur in deiner Fantasie abspielt und dass nicht irgendetwas Schlimmes mit dir los ist. Wenn du keinen Psychiater aufsuchen willst, solltest du wenigstens mit David darüber sprechen. Ich kann kaum glauben, dass du ihm überhaupt noch nichts davon erzählt hast.«

Entsetzt starrte Janine sie an. »Das kann ich doch nicht machen! Mein Gott, Annette, wir finden gerade erst wieder zueinander. Was soll ich denn zu ihm sagen? ›Hör mal, ich weiß, dass ich dir das Herz gebrochen habe und du mir das mehr oder weniger verziehen hast, so dass wir jetzt daran arbeiten, wieder Liebe und Vertrauen aufzubauen und – jawohl – total coolen Sex haben, aber abgesehen davon leide ich entweder unter Wahnvorstellungen und Paranoia, oder ich werde von einer Schreckgestalt aus dem Jenseits verfolgt?‹«

Annette zuckte mit den Achseln und bemühte sich sichtlich, nicht in Lachen auszubrechen. »Das wäre schon mal ein Anfang. Ich sage bloß, es ist nicht gut, wenn du diesen ganzen Mist im Kopf hast und mit David nicht mal darüber reden kannst. Er liebt dich Janine, das hat er immer getan. Und für einen Mann ist er ziemlich einfühlsam. Vielleicht kann er dir helfen.«

»Schon möglich«, gab Janine widerwillig zu.

Es kam ihr so absurd vor, über dieses Thema zu sprechen, dass sie sich fühlte, als würde sie einen Film über das Leben von jemand anderem sehen. Doch diese Erscheinung, die sie in ihren Träumen verfolgte – und die dann am Ufer des Flusses aufgetaucht war –, weckte in ihr eine Furcht, der sie nicht entkommen konnte. Die Gedanken daran, die Bilder des Fährmanns in ihrem Kopf, drängten allmählich Dinge in den Hintergrund, die eigentlich wesentlich wichtiger gewesen wären.

Ihre Träume hatte sie sich rational erklären können, und das schaurige Gefühl, beobachtet zu werden, das sie immer wieder überkam, konnte sie ignorieren. Doch am Sonntagmorgen hatte sie ihn bei Tageslicht erblickt. Ein wenig gespenstisch hatte er ausgesehen, aber er war tatsächlich da gewesen.



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